Die Kathedrale der drei Heiligen in Mahiljiou
MOGILEW (MAHILJAU)
Kleine weißrussische Perle im Südosten
Der Osten ist im Volksmunde oft verpönt. Er sei öde,
rückständig, langweilig und gesichtslos. Dieses oder jenes Detail mag
vielleicht stimmen, das Gesamtbild ist jedoch viel positiver. Die Region mag
zwar nicht so multikulturell wie Grodno sein, nicht so bedeutend wie Minsk,
nicht so einzigartig wie die südlichen Regionen Weißrusslands, aber dort findet
der Reisende ein anderes Stück Belarus, das nicht weniger anregend und
interessant ist. Am besten ist es, zuerst ein anderes Gebiet zu besuchen, damit
der Kontrast stärker wirkt.
Was macht diesen Kontrast aus? Warum werden Mogilew
und die Mogiljewer Oblast sogar von manchen Belarussen als das
"russischere" Belarus empfunden? Und stimmt das wirklich?
Das Theater in Mahiljou
Kathedrale der Mariä Himmelfahrt und St. Stanislaus
in Mahiljou
Stadtansicht von Mahiljou
Wer einmal in Minsk war, dem wird einiges in Mogilew
(ru: Mogiljow, bel: Mahiljau) gleich auffallen. So ist das Haus der Sowjets im
Zentrum der Stadt dem Minsker Regierungsgebäude wie aus dem Gesicht
geschnitten. Und das ist kein Zufall, denn die beiden Bauten wurden von
demselben Architekten, Joseph Langbard, entworfen. Das aus dem Jahr 1935
stammende Gebäude sollte als Regierungsgebäude dienen, es gab vor dem Zweiten
Weltkrieg, vor der Eingliederung Westweißrusslands tatsächlich Pläne, die
Hauptstadt der Weißrussischen Sowjetischen Republik von Minsk nach Mogilew zu verlegen.
Diese Pläne wurden jedoch nie realisiert – auch nach dem Krieg, als Minsk fast
komplett in Ruinen lag – und heutzutage tagt im Gebäude das städtische
Exekutivkomitee.
Die vermeintliche optische
"Austauschbarkeit" der Städte zur Sowjetzeit bedeutet keinesfalls,
dass Mogilew eine sozialistische Musterstadt war. Vielmehr kann das durch seine
Lage erklärt werden. Ein entwickeltes Verkehrsnetz verbindet bis heute die
Stadt und die Region mit anderen großen Industriezentren – sowohl in Belarus
als auch in Russland und der Ukraine. Doch warum sind die Stadt und die Region
denn "russischer" als andere?
Das Rathaus Mahiljous
Die erste Teilung Polen-Litauens betraf vor allem
nördliche und östliche Territorien. Mogilew, Witebsk, Polozk und viele andere
Städte in der Umgebung wurden ins russische Zarenreich eingegliedert. Die
Staatspolitik auf den neuen Territorien war zwar nicht immer homogen, neigte
jedoch immer stärker zur Russifizierung. Große Landgüter wurden an Favoriten
der Zarin verschenkt, wo prächtige Residenzen entstanden, wie der
Potjomkin-Palast in Kritschew (etwa 100 km von Mogilew entfernt). Die
territoriale Nähe ließ diese Politik noch stärker wirken, was sich später auch
zur Sowjetzeit fortsetzte.
Das Gebiet ist außerdem christlich-orthodox geprägt.
Bereits zur Zeit Polen- Litauens war das spürbar: 1618 gab es einen großen
Aufstand gegen die Kirchenunion, die auch der Stadtbevölkerung aufgezwungen
wurde. Zum Glück sind viele religiöse Standorte der Stadt erhalten, so wie die
Kathedrale der drei Heiligen oder der Bischofspalast und viele andere sakrale
Gebäude. Die meisten Kirchen stammen aus dem 17-20. Jahrhundert, was Reisenden
einen sehr anschaulichen Überblick der Geschichte der orthodoxen Kirche in
diesem Gebiet zulässt.
Residenz des Erzbischof in Magiljuo
Später, als belarussische Territorien zum sogenannten
Ansiedlungsrayon gezählt wurden, stieg die Anzahl der jüdischen Bevölkerung
rasant, was die Entwicklung solcher Städte wie Bobrujsk beeinflusste. Bobrujsk
galt und gilt teilweise auch heute als eines der größten Zentren jüdischer
Kultur in Belarus. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist es leider kaum zu spüren, die
schöne Architektur inspiriert aber immer noch alle Besucher der Stadt. Außerdem
wurde die Stadt und ihre Blütezeit der jüdischen Kultur im Literaturklassiker
"Das goldene Kalb" von Ilf und Petrow verewigt.
Die Lage zwischen großen strategisch bedeutsamen Orten
hat Mogilew einen Bärendienst erwiesen: Im Nordischen Krieg, im Krieg mit
Napoleon und anschließend in den beiden Weltkriegen hat die Stadt sehr stark
gelitten. Sie selbst spielte aber auch damals eine große Rolle. Im Ersten
Weltkrieg befand sich dort das militärische Hauptquartier des letzten
russischen Imperators, Zar Nikolaus II. Solch ein wichtiger Militärstandort
konnten ab 1917 den ersten Auseinandersetzungen zwischen den alten und den
neuen Machthabern in einem mittlerweile anderem Land nicht entgehen.
Nur nur die Kriege, sondern auch die Nachkriegspolitik
der Sowjetunion haben das Bild der Stadt geändert. Was trotz allem überstand,
wurde oft gesprengt und durch neue Bauten ersetzt. Zum Glück werden im
unabhängigen Weißrussland diese Fehler der Geschichte korrigiert. Das alte
Mogilewer Rathaus wurde vor einigen Jahren wieder errichtet und erinnert an die
lange Tradition des Magdeburger Rechts in der Stadt.
Eine Art Ironie der Geschichte ist der Eisenbahnhof
der Stadt – das einzige Gebäude, das die Wirren des letzten Jahrhunderts
überstanden und sein authentisches Aussehen beinahe komplett bewahrt hat.
Vielleicht ist das ein Zeichen der Geschichte, die Mogilew die Rolle eines
ewigen Mittlers im Osten aufzwingt.
Und nun? Heutzutage ist der Einfluss des
"großen" Bruders zwar nicht mehr so stark wie früher, aber der
ständige Kontakt zweier Kulturen ist spürbar – handelt es sich um die gemeinsame
Belarussisch-Russische Universität oder um triviale Dinge, wie das unmittelbare
Interesse vieler russischer Staatsbürger an belarussischen Lebensmitteln,
weswegen manche dieser Produkte regelmäßig ausverkauft sind.
Es fühlt sich dort in der Tat viel
"russischer" an, aber das ist keineswegs ein Nachteil, sondern ein
Ergebnis der jahrhundertelangen Kontakte, infolge dererb das Verschmelzen
mancher Eigenschaften unentbehrlich ist.
Am besten ist es, sich auf einer Reise nach Mogilew
selbst ein Bild davon zu machen. Denn nur im Kontakt entsteht etwas Neues und
nur so entwickelt sich jede Region. Belarus ist heterogen, bunt und vielseitig.
Eine Reise ins Gebiet Mogilew kann locker davon überzeugen, dass es im Osten
nicht nur Russland gibt. Und das ist gut so.
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