GRODNO
Weißrussische Kulturmetropole zwischen Litauen und
Polen
Viele Belarussen behaupten, Grodno (bel.: Hrodna) sei
anders als andere weißrussische Städte. Irgendwie westlicher, europäischer.
Vielleicht liegt das daran, dass die Grenze zu Polen und Litauen ganz nah
liegt? Das gilt aber auch für Brest, das niemand je mit Grodno vergleichen
würde. Besonders groß ist die Stadt auch nicht. Was macht dann diese besondere
Atmosphäre aus, die sogar den Einheimischen auf den ersten Blick auffällt?
Worin liegt diese "Westlichkeit" der Stadt, die schon seit mehreren
Jahrhunderten ihr Bild prägt, obwohl die Zeit oft gnadenlos zu ihr war? Das mag
Grodno seiner Architektur verdanken, die trotz aller Kriege erstaunlich gut
erhalten ist, und so können wir die Pracht der Altstadt authentisch genießen.
Die älteste Kirche St. Boris und Gleb in Grodno
Die große Synagoge
Das Haus der Offiziere in Grodno
Blick auf die Memel in Grodno
Das Alte Schloss im Grodno
Es ist jedoch deutlich mehr, was Grodno auszeichnet:
seine Multikulturalität, Diversität und Offenheit, die auf Schritt und Tritt zu
sehen sind. Die unmittelbare Nähe der polnischen und litauischen Grenzen ist in
der Tat spürbar, und viele Einwohner der Stadt profitieren davon, indem sie
regelmäßig dorthin reisen. In der Bevölkerung Grodnos finden sich unzählige
Nationen - außer Belarussen leben hier viele Polen, Juden, Tataren, Russen,
Ukrainer.
Diese Nähe, insbesondere zur polnischen Kultur, hat
sich im Laufe der gemeinsamen Geschichte (zuerst als Polen-Litauen, dann als
Zweite Polnische Republik) sehr stark ausgeprägt. Zahlreiche berühmte Polen
haben hier gelebt und gewirkt. Eine der großen Frauenfiguren in der polnischen
Literatur, Eliza Orzeszkowa, gehörte dazu. Ihr ehemaliges Haus wurde restauriert,
darin befindet sich heute ein Museum, das ihrem Leben und Werk gewidmet ist. In
der Nähe steht auch eines der ältesten Denkmäler Grodnos, welches an die große
Schriftstellerin erinnert.
Grodno ist auch einer der zentralen Orte der
belarussischen Geschichte. Seit 1128 erlebt die Stadt, Teil des sogenannten
Schwarzruthenien (dies gehörte teilweise dem Polozker Fürstentum) und eine
spätere Residenz der Fürsten von Polen-Litauen, eine lange Zeit des Aufstiegs
und Falls. Es musste alle Nöte einer Grenzstadt ertragen: Kriegszüge,
Eroberungen durch zahlreiche Gegner – Kreuzritter, Tataren, galizischer
Fürsten. Gleichzeitig blühten aber auch Handel und Gewerbe. Dazu profitierte
die Stadt davon, dass jeder dritte Sejm, das Ständeparlament, dort tagte.
Grodno Reisebuchtipp
Grodno Reiseführer
Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass das
Schicksal des einmal großen einflussreichen Staates im blühenden Grodno seinen
tragischen Lauf nimmt: Im Herbst 1793 wird der letzte Sejm abgehalten, dessen
Ergebnis die zweite Teilung Polens war. Dieser letzte Sejm fand im Neuen
Schloss statt, gegenüber dem Alten Schloss aus dem 12. Jahrhundert. Zwei
Facetten der Staatlichkeit – die gloriose Vergangenheit Polen-Litauens und
dessen unrühmliche Ende – treffen sich hier. Der endgültige Untergang des
Staates kam erst zwei Jahre später, als Stanisław II. August, der letzte König,
die dritte Teilung Polens unterschrieb und abdankte.
Heutzutage dienen die beiden Schlösser als
historisch-archäologisches Museum. Außerdem sind im Alten Schloss die Reste der
Unterkirche aus dem 12. Jahrhundert zu sehen – ein einzigartiges Denkmal
altrussischer Architektur.
Grodno übt verschiedene Religionen im friedlichen
Miteinander aus, diese Diversität hat sich über mehrere Jahrhunderte bewahrt.
Hier treffen sich das orthodoxe Christentum, der Katholizismus, der
Protestantismus, der Judaismus, der Islam. Neben den orthodoxen Kirchen und
katholischen Kathedralen steht die einzige funktionierende lutheranische Kirche
in Belarus auch in Grodno. In ihr spiegelmn sich nicht nur die religiöse
Vielfalt, sondern auch der architektonische Reichtum der Stadt: Die prächtige
St. Franz Xaver Kathedrale im Barockstil, die romanische St. Boris u. Gleb
(Kalozha) Kirche (die für die Aufnahme ins Unesco Weltkulturerbe nominiert
ist), die neogotische St. Johannes Kirche, die eklektische Große
Choral-Synagoge, – keine Epoche scheint hier zu fehlen.
Das einzige belarussische Museum für
Religionsgeschichte befindet sich denn auch nicht zufällig in Grodno. Ironischerweise
wurde dieses 1977 als "Museum für Atheismus und Religionsgeschichte"
gegründet. Heutzutage bietet es mehrere Expositionen zum religiösen Leben in
Belarus, wo die größten Konfessionen, aber auch vorreligiöse, heidnische Riten
dieser Region präsentiert werden.
Grodno hat auch eine enge historische Verbindung mit
der europäischen Wissenschaft der Aufklärungszeit. Dieses Kapitel der
Geschichte erfährt man beinahe beiläufig, denn die kleine museale Apotheke
scheint mit dem heutigen Stadtbild so verflochten zu sein, dass es kaum zu
glauben ist, wie alt sie tatsächlich ist. Eine kurze Stippvisite löst Staunen
aus: Alte medizinische Instrumente in Vitrinen, Gläser mit Aufschriften in
verschiedenen Sprachen – die ganze europäische Alltags- und Medizingeschichte
vom 17. bis ins 20. Jahrhundert lässt sich in diesen Sammlungen erkennen. Die
Apotheke wurde 1687 von Jesuiten gegründet, das Gebäude stammt aus dem Jahr
1709. Der berühmte französische Arzt und Wissenschaftler Jean Emmanuel Gilibert
hat dort in den 1770er bei der Entstehung der medizinischen Akademie – der
ersten Hochschule auf dem heutigen Territorium von Belarus – mitgewirkt. Das
heutige Museum ist ein Teil der immer noch bestehenden Apotheke, was zwischen
Vergangenheit und die Gegenwart des Lebens eine sehr vertraute Brücke schlägt.
Natürlich ist in Grodno auch die sowjetische
Vergangenheit zu besichtigen. Neben typischen Plattenbauten und
Industriegebieten stechen einige Unikate hervor. Das Gebäude des Drama-
Theaters (seit der Sowjetzeit wird unterschieden in "Dramen"- Theater
und "Musik"- Theater) ist ein markantes Beispiel der spätsowjetischen
Architektur. Das im Jahre 1984 errichtete Theater gleicht einem kronenförmigen
Bunker und sieht ziemlich surrealistisch aus. Es ist nichtsdestotrotz zu einem
Symbol der Stadt geworden.
Grodno wächst und entwickelt sich, so wie die meisten
belarussischen Großstädte. Dabei gelingt es ihm, seinen eigenen Charakter als
Schmelzpunkt der Kulturen zu bewahren, was zu Recht bewundert wird. In diesem Mosaik ist kein
Detail fehl am Platz.
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